6. Dorffest in Radebeul-Naundorf – Ein Rückblick
Es war eine stürmische Angelegenheit! So manches Ansagerwort war in den Wind gesprochen.
Am Anfang. Zwischendurch auch. Aber nur, was das Wetter betrifft. Trotzdem! Schön war’s. Naundorf hat sich gefeiert.
Jubiläen, Rückblicke, Anlässe und Ideen gibt es häufig und auch anderswo genug. Wenn sich eine größere Menge Menschen zusammentut und einer sagt: „Man könnte zum Beispiel…“, und es wird erwartungsvoll in die Runde geblickt, wer die „schöne Idee“ in die Tat umsetzt, dann geht so etwas meistens schief. Denn selten stehen genügend „Freiwillige“ auf und legen Hand an, damit sich die „Eierköpfe“ von ihren Kopfgeburten ausruhen können.
Die Naundorfer sind anders: Vorstand und Mitglieder des Dorf- und Schulvereins sind Vordenker und Macher gleichzeitig. Beispiel: Eine Nachbildung des 100 Jahre verschütteten und erst 1996 wieder gefundenen Brunnens sollte im Festzug gezeigt werden, Maßstab 1:1. Vorstandsmitglied Zauper – die Axt im Hause erspart den Zimmermann – baut ihn. Und die Vorstandsvorsitzende Isolde Klemmt findet, dass der Brunnen allein etwas „nack’sch“ sei, also erfindet sie nicht nur einen Brunnengeist dazu, sondern schneidert auch das Geistgewand. Vor Jahren hat sie ein Dutzend kleine Matrosenanzüge gefertigt, schneeweiß, mit blauen Streifen, dazu Mützen – ideale Staffage für die Kindertanzgruppe.
Daneben schreibt sie Drehbücher, führt Regie und hat meistens noch viel mehr im Kopf als sie momentan „ausspucken“ kann. Macht nichts, Isolde. Heb es auf für das nächste Fest!
Grosche, Müller, Meißner, Bäßler, ….., ….. und ….. stöbern im Familienfundus: In härenes Sackleinen gewandet spielen sie ihre Gründerväter. „Bewaffnet“ mit Kornscheffel, Dreschflegel und Sackkarre betonen sie ihre bäuerlichen Wurzeln, aus denen der bis heute sichtbare Reichtum an Kultur und Brauch herrührt, ohne den dieses Fest gar nicht denkbar wäre, zudem vor einer Kulisse eines vollständig erhaltenen ur-sächsischen Rundlings mit Dorfteich und akkurat angelegten, unter den kritischen Augen der Nachbarn gepflegten Bauerngärten, in denen – mitten auf dem Dorfplatz, ja wirklich, echte Kartoffeln, Bohnen, Kraut und Rüben wachsen.
Und was stolziert da am Zaun vorüber, mit Stock und Zylinder, etwas steif – das können nur die reich und behäbig gewordenen Großväter sein, wie sie, gleichwohl Abkommen von Bauern, Städter spielen und noch bessre sein wollen als die verhassten Kötzschenbrodaer, die das bäuerische Naundorf in den 30er Jahren einfach eingemeindet haben.
Nicht weit vom Stamm lässt sich, mit Ironie und Witz, Jens Ola fallen. Er setzt Käppi und Zwicker auf, eng spannt sich der offenbar sondergefertigte Schwalbenschwanz um das Wohlstandsbäuchlein, dazu der Rohrstock in der Hand und ein gütig-strenger Lehrer-Lämpel-Blick (wie aus Busch’s Bilderbuch entsprungen) aufgesetzt – dieses „Urbild“ des Naundorfer Lehrers wird der Lehrerssohn sicher nicht mehr los. Sogar das Naundorflied kann er besser als seine (Schauspiel)-Schüler.
In ihrer Paraderolle glänzte Isolde Klemmt: Ein ums andere Mal ließ sie sich als Verursacherin des Großbrandes von 1822, der Feuerjule, wehklagend zum Richtstuhl führen, während der das Dorf rettende Feuerreiter stolz von seinem schwarzen Rappen blickt. Kaum in und wieder aus der Rolle, ersteigt Isolde – erst 75 Jahre und jünger als manch anderer – wieder und wieder ihr blaues Rad, um von einem Dorfende zum anderen und wieder zurück wetzend, hier wie dort etwas (um)zu organisieren. Seit Jahren ist sie die Seele und „heimliche Bürgermeisterin“ Naundorfs. „Ich kann damit leben“, meint schmunzelnd der Radebeuler OB Bert Wendsche zu der von den Naundorfern erfundenen Ehre.
Der Stimmkreisabgeordnete, Staatsminister Matthias Rößler, beeilt sich zu betonen, dass auch er mit dem Radl von Cossebaude rüber gekommen sei. Doppelt lieblich: Die 14-18 jährigen „Dorfschönen“ hatten Freibad, Disco oder Kino sausen lassen und in mühevoller Arbeit blumenduftende Bögen geflochten, die sie im Zug präsentierten. Oder hatten sie sich von den Muttis helfen lassen? Diese Muttis, zumindest Damen schon etwas reiferen Alters, hatten sich als Waschweiber verkleidet und machten ihrer Sprichwörtlichkeit laut und unverschämt alle Ehre. Mancher brauchte niemanden zu „spielen“ – es genügte, er bzw. sie selbst zu sein: Knorrige Typen, kantig, mit sich, der Welt und ihrem Dorf zufrieden oder nicht … Gut jedenfalls, dass es sie gibt.
Im Dutzend Bilder des mitfeiernden Hauptsponsors Flack & Schwier gehörten die im Cabrio fahrenden, im bräutlichen Ornat gekleideten geschäftsführenden Gesellschafter genauso dazu wie die auf Dreirad und Handwagen hinterher trabenden Kinder – die echten Kinder, wohlgemerkt! Da mischte sich etwas eitle Schaustellerei auf die 100jährige Tradition mit dem stolz gezeigten Willen, dass man daran denke, diese Tradition in Zukunft fortzusetzen. Auf den ersten Blick vielleicht manchen irritierend. Doch gerade diese vom Geschäftssinn „gemalten“ Bilder zeigten um so deutlicher, wie Naundorf leibt und lebt. Es ist ihm zu wünschen, dass das so bleibt. Denn auf der Hände Arbeit der Väter baut unser Reichtum, daraus erwachsen Kultur und gebildete Landschaft – das macht unsere kleine Welt von Naundorf aus.
Am Ende erhebt sich die Frage: Wer war eigentlich nicht dabei? Die Ureinwohner sowieso. Zugereiste liefen getreulich mit und selbst der süddeutsch gefärbte Dialekt eines Späteinwanderers von der Bühne her wurde freundlich geduldet. Vom jüngsten Naundorfer Tom Uslaub – Vater Thomas machte seinem Sprechertum als rasender Reporter alle Ehre – bis zu den Ältesten, ob in der Uniform der Freiwilligen Feuerwehr marschierend die Kameraden Klotsche und Walter oder als Ehrengast in der Kutsche fahrendes diamantenes Ehepaar Jentzsch, es hat kaum einer gefehlt. 150 Teilnehmer wurden beim Umzug geschätzt: Das ist die eine Hälfte der Einwohnerschaft. Die andere Hälfte hielt mit professioneller Unterstützung derweil die Grills, Töpfe und Pfannen warm und die Getränke, dass Flack’sche Freibier und den Lößnitz-Wein für die vielen tausend Gäste kalt und griff beherzt zu Besen und Schaufel, nachdem Sonntagabend alles vorbei war.
Bis zum nächsten Fest.
Und das sei nicht in den Wind gesprochen.